Am ersten Tag unserer Bulgarienreise kommen wir mittags am Flughafen an. Erster Stopp ist natürlich der
Geldautomat. Da der Bulgarische Lev (BGN) fest an den Euro gebunden ist, gibt es dort glücklicherweise keine Wechselkursfallen.
Vom Flughafen fahren wir für unschlagbare 1,60 BGL (80ct) mit der unterirdisch fahrenden Metro zwanzig
Minuten in die Innenstadt – Station Serdika. Das ist auch der ursprüngliche Namen der Stadt, die von dem Römern nach einem dort lebenden thrakischen Stamm benannt wurde
An der Oberfläche sticht als erstes eine große schwarze Säule ins Auge, auf der eine gold-schwarze
Frauengestalt steht – die heilige Sofia, neue Namensgeberin der Stadt. Vormals hieß der Platz Leninplatz und so ersetzt die Statue seit dem Millennium die frühere Leninstatue. Leider hatte der
Künstler keine Ahnung von dem christlichen Hintergrund des Namens und hat deshalb eine eher aufreizende Gestalt mit einem Lorbeerkranz in der einen Hand und einer Eule (Sofia=Weisheit) auf dem
anderen Arm designt. Als die Statue aufgestellt wurde, hatte die dortige orthodoxe Kirche sich deswegen auch ziemlich aufgeregt (vor allem das unchrisliche Weisheitssymbol auf einer Heiligen, die
Aufgrund ihres Glaubens in den Anfängen des Christentums umgebracht wurde war ein Affront), blieb aber, wie wir sehen konnten, erfolglos.
Unser Hostel liegt nicht weit entfernt im Nord-Osten. Es ist ziemlich versteckt und alle Fenster gehen
zu einem kleinen Innenhof hinaus, zu dem es aber selbst keinen Zugang hat. Im Preis ist ein kleines Frühstück mitinbegriffen, bestehend aus Toastbrot, Marmelade, Butter und aufgebackenen
Frischkäseschnecken und Tee oder Kaffe.
Nach einer kleinen Stärkung zu Mittag, erkunden wir die Stadt ein bisschen auf eigene Faust. Sofia ist
eine unglaublich saubere Stadt. Obwohl ich kaum Mülleimer gesehen habe, gab es eigentlich nirgends herumliegenden Müll. Bis auf bei ein zwei Kirchen waren in der Innenstadt auch keine Bettler zu
sehen, eine besondere Polizeipräsenz aber auch nicht zu spüren. Außerdem ist Sofia definitiv noch nicht auf größeren Tourismus ausgelegt. Es gab nur ganz vereinzelt kleine Souvenirläden und als
wir zum Zentralen Busbahnhof kamen, um für unsere nächste Etappe Karten nach Melnik zu kaufen, sprach an keinem der Schalter jemand englisch (hier hat uns eine junge Bulgarin als Dolmetscher
ausgeholfen).
Für Fahrradfahrer ist schien die Stadt nicht ausgelegt zu sein. Die Autos dominieren die Straße und die
Fußweg wären dafür in einem zu schlechten Zustand. Dementsprechend wenige Fahrradfahrer haben wir auch gesehen. Auf Fußgänger wurde aber umso mehr geachtet, es gibt viele Zebrastreifen, vor denen
Autofahrer auch oft Vollbremsungen machen, um die Leute drüber zu lassen.
Am nächsten Morgen nehmen wir an einer ‚Free Sofia Tour‘ teil. Diese Touren sind privat organisiert und
finanzieren sich rein aus den Spendengeldern der Teilnehmer.
Die Führung startet am Justizpalast. Von dort aus gehen wir auf einen Platz vor der theologischen
Universität. Dort steht auch eine alte orthodoxe Kirche, in der früher auch die Zaren gekrönt wurden. Zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg wurde dort ein Anschlag auf den dortigen Zaren
verübt. Dafür wurden in die Kirche mehrere Sprengstoffladungen geschmuggelt, die während der Beerdigung eines hohen Generals in die Luft gingen und über 200 Besucher töteten – der Zar war jedoch
zu spät und kam daher mit dem Leben davon.
Von da aus gingen wir wieder zur Metrostation ‚Serdika II‘. Das heutige Level von Sofia ist etwas höher
als es zur Zeit der römischen Besetzung war. Daher finden sich hier auch noch unter der Innenstadt Ruinen aus dieser Zeit. Vor allem um die zentrale Metrostation herum sind diese richtig ins
Leben der Stadt miteingegliedert. Überirdisch ist hier zum Beispiel eine riesige Kreuzung, über die es jedoch keine Fußgängerampeln gibt. Dafür gibt es darunter Tunnel, durch die man auch gleich
in eine Art Ausstellung der Fundamente der römischen Gebäude kommt. Mitsamt Erklärtafeln, wo was war, kann man dort die Überreste besichtigen und auch hindurchlaufen. Auf der einen Seite der
Kreuzung liegen die Ausgrabungen sogar offen und sind den Witterungsbedingungen ausgesetzt. Man sieht hier auch den Treffpunkt der ehemaligen römischen Hauptstraßen von Norden nach Süden und vom
Ost nach West. Heute liegt ein paar Meter weiter der Treffpunkt der einzigen beiden Metrolinien Sofia, die in den selben Richtungen verlaufen.
Bei dem freiliegenden Ausgrabungsabschnitt konnte man auch eine alte Kirche anschauen, die
Sattlerkirche. Gebaut zur Zeit der Besetzung durch die Osmanen liegt sie etwas höher als der Rest der Ruinen und ist nach denen benannt, die sie damals finanziert haben – die
Sattelhersteller.
Neben den Ruinen liegt der Platz der Toleranz, in dessen nächstem Umkreis Gotteshäuser der wichtigsten
Religionen (orthodoxes und katholisches Christentum, Islam und Judentum) in Sofia vertreten sind. In all der Zeit in der diese Gebäude dort stehen, gab es nie Auseinandersetzungen zwischen den
einzelnen Gemeinden.
Gleich daneben sind eine Reihe von Mineralquellen. Da das Gebiet um Sofia ein Vulkangebiet ist, tritt
bei diesen Quellen das Wasser mit guten 37°C an die Oberfläche. Viele der einheimischen füllen dort täglich ihre Wasserflaschen auf. Wenn man sich erst einmal an die Temperatur des Wassers
gewöhnt hat, schmeckt es relativ süß. Vor allem im Winter soll es hier auch viele geben, die sich hier ihren Tee kochen.
Von dort aus gehen wir wieder zurück über den Platz der Toleranz zum ehemaligen Leninplatz, der jetzt
Platz der Unabhängigkeit heißt. Er hatte auch der Spitznamen ‚Dreieck der Macht‘, den er der dreieckigen Form des Dachs der damaligen kommunistischen Parteizentrale zu verdanken
hat.
Flankiert wir der Platz von zwei Zwillingsgebäuden, die einmal das Parlament und den Arbeitsbereich des
Premiers und einmal sowohl die Räume des Präsidenten als auch ein Casino und eine Kirche beherbergen.
Vor dem Parlamentsgebäude nehmen wir dann kurz Platz und unser Führer erzählt uns etwas über seine
Familiengeschichte. Mit der Einführung des Kommunismus‘ konnte sein Großvater väterlicherseits nicht weiter als Intellektueller arbeiten. Sein Vater ist beim Fluchtversuch aus Bulgarien mit 17
geschnappt worden bekam danach keine Möglichkeit mehr, zu studieren. Im Gegensatz dazu hatte die Familie seiner Mutter als Arbeiterfamilie vor dem Kommunismus kein Geld, um sich Bildung zu
finanzieren. Damit war für sie dessen Einführung ein Geschenk, denn sie hatten nun freien Zugang zu Bildung und medizinischer Unterstützung. Solche gegensätzlichen Geschichten innerhalb einer
Familie scheinen aber keine große Seltenheit zu sein.
Um Punkt zwölf Uhr stehen wir vor dem Eingang zum Präsidenten-Amtssitz, bei dem jede Stunde ein
Wachwechsel als kleine Attraktion stattfindet. Ungefähr einmal im Monat wird dieser mittags jedoch besonders groß zelebriert. Da heute ein Feiertag (Tag der Einheit) ist, haben wir Glück und
können dieses Spektakel zumindest zum Teil miterleben (es komplett anzuschauen würde den Zeitrahmen der Führung sprengen und ist auch nach einer gewissen Zeit nicht mehr ganz so
interessant).
Während wir durch einen der Stadtparks schlendern, erzählt uns unser Führer von einer weit verbreiteten
bulgarischen Tradition, den Winter zu vertreiben. Anfang März werden Marteniza, das sind rot-weiße Bänder, und ausgetauscht, sodass am Ende des Tages jeder seinen gesamten Arm voller Bänder hat.
Sogar der Präsident macht mit. Wenn man dann den ersten Storch sieht, wird das Band an den ersten blühenden Baum gehängt.
Nach dem Park kommen wir auf eine Straße, die komplett mit gelben Ziegeln gepflastert ist. Während des
dritten bulgarischen Königreichs war diese Straße noch nicht gepflastert, obwohl sie direkt am Palast vorbeiführte und somit eigentlich eine besondere Bedeutung hatte. Um ihre Einzigartigkeit zu
unterstreichen, wollte man sie mit teuren gelbem Pflaster versehen. Jedoch sollte vermieden werden, dass die Bevölkerung erfuhr, dass die Steine Mithilfe eines deutschen Kredits mit ihren
Steuergeldern finanziert wurde und so wurde verbreitet, dass die gelben Steine ein Hochzeitsgeschenk eines österreichischen Prinzen an den Zaren waren.
Die Steine sind extrem gut erhalten und heute noch die Originalen, trotz der extremeren Belastung durch
die Autos. An ein paar anderen Stellen der Stadt (zum Beispiel den Bahnhof) hat man später versucht, ein ähnliches Pflaster zu erschaffen, aber die gelben Ziegel gehen dort immer wieder
kaputt.
Unsere Tour endet an der ältesten und größten Kirche Sofias, die früher außerhalb der eigentlichen
Stadtgrenze lag. Gebaut wurde sie von Justinian, der alle seine Kirchen ‚Sofia‘, Weisheit, nannte.
Das Gebäude steht auf einem leichten Hügel, sodass es aus der Ferne noch vor der Stadt zu sehen war.
Dadurch bekam die ehemalige Stadt Serdika über die Zeit den Namen Sofia.
Die Kirche ist eine von drei Kirchen ins Sofia, die zur Zeit der osmanischen Besetzung in Moscheen
umgebaut wurden. Nachdem die Moschee aber zweimal durch Naturgewalten zerstört wurde, wurde sie nicht wieder erneuert, sondern anderweitig genutzt. Eine Zeit lang war dort zum Beispiel die
Feuerwehr stationiert, die vom Hügel aus einen sehr guten Blick auf die Stadt hatte. Als die Russen auf ihrem Befreiungszug auch durch Sofia kamen, musste man, um der Tradition nachzugehen, beim
Einzug der Russen die Glocke der größten Kirche zu läuten, etwas improvisieren. Die Kirche hatten zu der Zeit als die Kirche Sofia erbaut wurde nämlich noch keinen Glockenturm. Also hat man
kurzerhand eine Glocke auf einen nahen Baum neben der Kirch gehängt, die man dann läuten konnte.
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