Cape Reinga - wo Seelen Flügel bekommen

Um 6 Uhr klingelt mein Wecker. Na toll, hab ich nicht Urlaub? 

Heute steht meine einzige Tour in Paihia auf den Plan, eine Bustour rauf zum nördlichsten Ort der Nordinsel – zum Cape Reinga. 


Die Busfahrt war lang.  Obwohl wir mehrere Zwischenstops hatten, mussten wir doch über 200 Kilometer einfach zurücklegen, weswegen wir über zwei Drittel des Tages im Bus verbrachten. Aber für solche Nebenwirkungen gibt es ja den Busfahrer! Wir wurden die ganze Strecke mit so vielen Informationen über den Norden vollgestopft, uns konnte gar nicht langweilig werden. 


Zum Beispiel war der heute kaum besiedelte Norden noch vor dreihundert Jahren der am meisten besiedelte Teil Neuseelands. In Kerikeri, eine Stadt nicht weit von Paihia gibt es hervorragende Bedingungen für die Landwirtschaft. Und früher war auch der ganze jetzt karge Norden mit einem riesigen Wald aus Kauri-Bäumen bedenkt, ein kleines Andenken an seine einstige Pracht durften wir am Ende unserer Tour bewundern. 


Erster Halt war eine Frühstückspause in Taipa (`erste Berührung‘), an dem die polynesischen Siedler das erste Mal landeten, und damit wohl einer der historischsten Orte Neuseelands. 

Die nächste Station war nicht wirklich eine Touristenattraktion, sondern ein lokaler Geheimtipp. Irgendwo im nirgendwo gab es nämlich einen kleinen Stand, an dem man 3-5 Avocados (je nach Größe)  für nur 2$ erwerben könnte – das ist doch mal ein Angebot! 


Dann ging es zum 90-miles Beach. Der Strand zieht sich fast die ganze Strecke von Beginn des schmalen Endes der Insel bis zum Norden an der Westküste entlang. Aber er ist nicht wirklich 90 Meilen lang. Dass er trotzdem so heißt, liegt nicht daran, dass es in Australien einen 80-miles Beach gibt und sich das die Neuseeländer nicht gefallen lassen, sondern an einem ganz einfachen Rechenfehler der früheren Siedler. Wie schon erwähnt war der ganze Norden mit Wald bedeckt. Wenn die europäischen Siedler nun das Holz in den Süden transportierem wollten nahmen sie ein Ochsengespann und wanderten drei Tage lang am Strand entlang. Sie wussten, dass sie mit den Ochsen 30 Meilen am Tag schafften, also 30 Meilen in drei Tagen sind 90 Meilen. Was sie nicht einrechneten war, dass die Ochsen auf dem weichen Untergrund natürlich langsamer vorrankamen und so nur 20 Meilen am Tag schafften. Obwohl dieser Irrtum mittlerweile natürlich aufgedeckt ist, blieb der ursprüngliche Name aber erhalten. 


Ob der Strand nun 60 oder 90 Meilen lang ist, spielt für einen Besucher mit dem Auto (Mit Allradantrieb!) aber keine Rolle. Der Strand ist einfach riesig. Nach ein paar Minuten Fahrt auf dem Sand, sieht man nichts anderes mehr, als das Meer, Sand und die Dünen. Da wir sehr früh dran waren,  war noch Ebbe, oder zumindest noch keine Flut, sodass wir vielleicht 50 Meter Strand zur Verfügung hatten.

Doch es ist gar nicht so ungefährlich, einfach aus dem Bus zu steigen und den Strand zu genießen, denn dieser Strand ist ein offizieller Highway! Es gibt zwar eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 100 km/h und grundsätzlich keine Kurven , sodass alles sehr übersichtlich ist,  aber trotzdem ist Vorsicht geboten.

Als James Cook, der (britische) Entdecker von Neuseeland, den Strand das erste mal sah,  nannte er ihn übrigens ‘desert coast‘, denn die Dünen verbargen den gigantischen Kauriwald komplett. 



Als nächstes stand Sandsurfen auf dem Programm. Obwohl auch das ein Grund für die Tour war, hatte ich doch ein bisschen Bammel, und die Sicherheitseinweisungen und beschriebenen worst-case-Szenarien halfen auch nicht weiter. Im Gegensatz zu den eher Flächen (übrigens unter Schutz gestellten) Dünen am Strand, waren die Dünen zu denen es jetzt ging wahre Giganten. Die erste Schwierigkeit war die ganze Düne hinaufzuklettern, zumal der heiße Sand einem die Füße verbrannte, wenn man sie nicht gleich wieder einbuttelte. Zu meinem Glück, suchten wir uns eine vergleichsweise kleine Düne aus. Trotzdem war sie ziemlich steil, sodass allein das Hinlegen auf das Brett ohne gleich runterzurutschen schwierig war. Das Surfen an sich war dann weit weniger schlimm als befürchtet. Der Sand war zwar sehr fein, aber auch schwer, sodass es einem nicht die Sicht genommen hat. Allerdings war die erste Strecke genau mit Kurs auf eine kleine Wasserlache - gleich die Abkühlung mitgebucht! Außerdem war die Geschwindigkeit sehr leicht zu steuern, bzw. es war sehr einfach zu bremsen. Einfach die Füße in den Sand stecken!



Nun ging es endlich nach Cape Reinga.  Die Maori glauben, dass nach dem Tod die Seelen den Weg nach hier oben wandern, um zu den Inseln ihrer Vorfahren zu gelangen. Man vom Cape aus hervorragend die Linie im Meer sehen, an der das Tasmanische Meer (im Maori-Glauben weiblich) auf der Westseite und der Pazifik (männlich) auf der Ostseite zusammentreffen. Logischerweise sind die Strömungen dort dann besonders heftig und so soll unter diesem ‘Höllenmeer‘ ein Seemonster hausen. Wenn also die hier ankommende Seele ein gutes Leben geführt hat, wachsen ihr Flügel und sie kann sicher weiterreisen, wenn sie jedoch schlecht war materialisieren sich die Flügel nicht richtig und die Seele stürzt hinab ins Meer und wird vom Ungeheuer verschlungen. 

An dieser Stelle errichteten die Siedler auch einen Leuchtturm. Allerdings ist das nicht der erste. Es gab schon mal einen anderen, etwas weiter südwestlich am Cape Maria Van Diemen, jedoch war Cape Reinga einfach besser geeignet. 

Hat die Seele also Flügel bekommen, fliegt sie zu einem Pohutukawa-Baum an einem Felsen und gelangt von dort aus in die Unterwelt. 

Die Baumart hat (offensichtlich) einen Maori-Namen. 'pohutu' heißt so viel wie 'gesprüht'  und 'kawa' heißt 'Blätter'. Außerdem wird er umgangssprachlich 'neuseeländischer Weihnachtsbaum' genannt, da er nur um Weihnachten herum blüht. Der spezielle Baum aus der Maoru-Mythologie existiert übrigens immer noch. Er ist jetzt weit über 800 Jahre alt, aber keinesfalls ein großer und mächtiger Baum, sondern für sein Alter relativ klein. Das liegt daran, dass er auf einem Felsen an einer Klippe steht und wenn er größer wachsen würde, wäre sein eigenes Leben kürzer. Eine weitere Besonderheit ist, dass dieser Baum noch nie geblüht hat. 


Als Besucher kann man vom Parkplatz eine fünf-minütige mit Infotafeln gesäumte Strecke zum Leuchtturm wandern, an dem übrigens ein Wegweiser zu allen möglichen großen Orten, wie London etc. weist. Gleich daneben ist eine Art `Aussichtshügel‘ über einen Trampelpfad zu erreichen. 



Nach einem kurzen Besuch dort, fahren wir los zu unserem Fish-and-Chips-Mittagessen. Gerade als wir in den Bus einsteigen, zieht eine riesige Nebelfront vom Osten heraufund Minutem später war das Cape nicht mehr zu sehen. Gerade nich Glück gehabt! 

Beim Mittagessen habe ich am Strand noch die Hülle einer großen Seekastanie (ich hoffe, dass ist die richtige Übersetzung) gefunden. Es war ziemlich witzig, denn außer mir schien jeder dieses Tier zu kennen und ich bekam massenweise Rezeptvorschläge, für den Fall, dass ich mal ein etwas noch lebende haben würde. 

Letzter Stop heute war ein einem kleinen Teil des heute noch erhaltenen Kauri-Waldes. Die Kauribäume können gigantisch hoch und breit werden und wachsen senkrecht nach oben, ohne Verzweigungen oder Verästelungen. Die Rinde ist schuppenartig, sodass die Bäume bei Krankheitten oder Pilzbefall einfach die jeweilige Schuppen abwerfen können. Es war wirklich toll durch diesen vollkommen ungefährlichen Regenwald zu wandern, es gibt nichts giftigen oder gefährliches und trotzdem kann man die Majestätik eines so alten Waldes bewundern. Wir durften übrigens nicht über den Waldboden laufen sondern nur über hölzerne Brücken, da der Wald unter Schutz steht und wir sonst die Wurzeln der Bäume verletzt hätten. Gottseidank führte der Pfad ganz nah an einigen der Giganten vorbei, denn wer einen Kauribaum umarmt, erhält Glück und Gesundheit! 


Ich weiß unser Busfahrer hat uns auch auf der Rückfahrt noch massenweise Geschichten über die Namensgebung unterschiedlicher Buchten erzählt, aber ich war so müde, dass ich die meiste Zeit mehr geschlafen habe,  als dass ich wach war. 

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